Sehr geehrter Herr Müller, können Sie uns kurz erläutern, wie Sie zum Thema systemische Beratung und insbesondere zu Virgina Satir gekommen sind?
Ich hatte das Vergnügen, in den 70er Jahren meine Lehre bei ihr sowohl in den USA als auch in Deutschland zu absolvieren. Sie brachte mit ihrer außergewöhnlich kreativen und begeisternden Art ein völlig neues Denken und Handeln in die beraterische Arbeit ein. Erweitert und vertieft habe ich dieses Wissen insbesondere bei Maria Bosch, Bunny Duhl, Salvador Minuchin und Walter Kempler. Ich war Mitglied in Virginia Satirs Avanta Network und wurde von Virginia Satir als Trainer in ihre Process Community berufen.
Ergänzend nahm ich in diesen Jahren an zahlreichen Fortbildungen im Bereich humanistischer Psychologie (Gestalt, Bioenergetik, Selbsterfahrung, Transaktionsanalyse u.a.) und in Funktionaler Integration teil und legte auf diese Weise den Grundstock für den heutigen integrativ-systemisch-ressourcenbezogenen Charakter meines jetzigen Praxismodells.
Wie ging es dann weiter? Wie haben Sie das dann im deutschen Sprachraum umgesetzt?
1974 gründete ich gemeinsam mit Gaby Moskau das „Institut für systemische Therapie, Beratung und Supervision – kurz MFK (Münchner FamilienKolleg)“, das ich seither leite. Ich erlebte dann in den 80er Jahren die konstruktivistische Wende hin zur systemischen Therapie und Beratung u.a. bei Karl Tomm von der University of Calgary sowie Gianfranco Cecchin und Luigi Boscolo vom Mailänder Team. Ergänzend absolvierte ich eine Weiterbildung in Ericksonscher Hypnotherapie bei Jeffrey Zeig, Carol und Steve Lankton, Ernest Rossi und Gunther Schmidt.
Sie haben auch intensiv mit Steve de Shazer und Insoo Kim Berg zusammengearbeitet. Das sind ja auch große Namen in der Szene!
Ja. In der Tat. Gegen Ende der 80er Jahre drifteten wir von der systemischen Therapie und Beratung zum lösungsfokussierten Ansatz mit Steve de Shazer und Insoo Kim Berg und zum narrativen Vorgehen mit Michael White und Michael Durrant aus Australien. Und in den folgenden Jahren beschäftigte ich mich insbesondere mit den Themen Achtsamkeit, Geschlechterrollen und auch Neurobiologie.
Wenn Sie zurückblicken: Wie würden Sie dies alles zusammenfassen bzw. was hat Sie so begeistert gemacht für Ihre Arbeit?
Mein Fazit wäre: Ich hatte die Gelegenheit, in meiner beruflichen Laufbahn die Entwicklung von der klassischen Familientherapie über die Ausformung der systemischen Therapie und Beratung hin zur heutigen integrativen systemisch-ressourcenbezogenen Vorgehensweise mitzuerleben und mitzugestalten. Diesen dynamischen Wandel empfand ich als äußerst bereichernd und entwicklungsfördernd sowohl für mich als auch für unsere Klienten. Mit meinem mit Freude, Lust und Zuversicht gepaartem Engagement gelang es mir, in intensiver Kooperation mit Gaby Moskau, unser Ziel zu erreichen, der rasant sich entwickelnden Vielfalt des systemischen Denkens und Handelns eine Plattform im süddeutschen Raum zu geben. Ab etwa Anfang der 80er luden wir deshalb bedeutende innovative Experten und Expertinnen - insbesondere aus den USA, England, Finnland, Italien - zu Seminaren und Workshops in das MFK ein, manche davon kamen erstmalig nach Deutschland. Mit etlichen entwickelte sich daraus ein zum Teil bis heute bestehender, reger methodischer und auch privater Austausch.